
Quelle: Nicole Bentrup
Juan de Cruz Pujades (r.) überreichte Harm Osmers einen sportlertauglichen Präsentkorb nebst Gutscheinen
Harm Osmers, FIFA-Schiedsrichter, hat alle Hände voll zu tun. Doch der Kontakt zur Basis ist ihm nach wie vor immens wichtig. So besuchte er am Rosenmontag die Gütersloher Schiedsrichtervereinigung und gab spannende Einblicke in den Alltag eines Bundesligaschiris.
Juan de Cruz Pujades, Güterslohs Vorsitzender des Kreisschiedsrichter-Ausschusses, zählte in seiner Begrüßungsrede einige der letzten Stationen auf, die Osmers zuletzt abarbeiten musste. Spätestens bei dem Hinweis, dass der 40-Jährige zuletzt ein Spiel in Saudi Arabien mit Beteiligung von Cristiano Ronaldo leitete, bekamen die mehr als 100 Zuhörenden große Augen. Als de Cruz Pujades Osmers dann noch zum 120. Einsatz in der Bundesliga gratulierte, staunte auch der Protagonist nicht schlecht. „Das sind ja mehr Infos als in meinem Wikipedia-Eintrag“, scherzte Osmers.Rund 90 Minuten plus obligatorischer Nachspielzeit, also ein Fußballspiel lang, referierte Harm Osmers über die aktuelle Regelauslegung, gab Einblicke in den Alltag eines Bundesliga-Schiris inklusive Video-Assist-Center und beantwortete geduldig die Nachfragen der hiesigen Amateurschiedsrichter. Natürlich stand er auch für Fotos parat. „Ich mache das gerne, die Arbeit an der Basis ist extrem wichtig. Als Jungschiedsrichter haben mir solche Veranstaltungen auch sehr geholfen. Darum möchte ich jetzt auch etwas zurückgeben“, so Osmers.
2009 wurde Harm Osmers DFB-Schiedsrichter, seit 2016 pfeift er im Oberhaus des deutschen Fußballs. Bislang leitete er 120 Erstliga-Partien. 2020 wurde er FIFA-Schiedsrichter, pfeift auch Spiele in der Champions League. Im DFB-Pokalfinale 2024 war Harm Osmers als Video-Assistent-Referee (VAR) tätig.
Einblicke in das Leben eines Bundesliga-Schiedsrichters gibt es nicht tagtäglich. Und ein Spiel ist auch nicht immer mit dem Schlusspfiff beendet. Im Gegenteil. Neben den obligatorischen Nachbesprechungen mit dem Beobachter und dem gesamten Team stehen teilweise Medienanfragen an und natürlich die Rückmeldungen aus dem privaten Umfeld. Osmers sagt: „Wenn ich als Schiedsrichter etwas richtig mache, dann wird das von mir erwartet. Mache ich eine Kleinigkeit falsch, wird es nicht vergessen.“ Das spiegelt die Fußballgesellschaft ziemlich exakt wider. „Fußball ist einfach und komplex zugleich, darum ist er auch so beliebt“, meint Harm Osmers, für den das Credo gilt: „Aufklärung betreiben, Verständnis erlangen.“
Der Schiedsrichter in der Bundesliga liefere keine One-Man-Show. Vielmehr agieren die Unparteiischen als Team. Im Stadion mit zwei Assistenten und dem vierten Offiziellen, dazu im allseits bekannten „Kölner Keller“ mit zwei Videoassistenten. Osmers: „Akzeptanz für Entscheidungen gibt es nur, wenn sie transparent sind. Wenn im Stadion keiner weiß, was los ist, ist es immer schwierig.“ So sei häufig auch sein Gefühl in Situationen auf dem Platz, wenn es ein On-Field-Review gibt. „Ich glaube, für den Zuschauer dauert das manchmal gefühlt ewig. Auf dem Platz mit den ganzen Eindrücken kriegt man das so gar nicht mit.“
Als Schiedsrichter – egal in welcher Spielklasse – sei man ständiger Kritik ausgesetzt. Harm Osmers hat seine ganz eigene Philosophie, wie er damit umgeht. „Ich führe mir immer vor Augen, dass die Kritik nicht gegen mich als Person geht, sondern gegen meine Rolle als Schiedsrichter. Außerdem sollte man sich immer ein bisschen dagegen immunisieren, weil die Kritik nahezu immer parteiisch und nicht fachlich an einen herangetragen wird.“ Außerdem, so Osmers‘ Wahrnehmung, sei es so, dass die Fans die Entscheidungen des Schiedsrichters immer dann akzeptieren, wenn auch der Spieler auf dem Platz es tut. „Je mehr die Spieler oder Trainer sich aufregen desto hitziger werden auch die Fans“, ist sich Osmers sicher.
Wichtig ist für einen Unparteiischen auch immer die individuelle Vorbereitung auf ein Spiel. Osmers: „Auch hier ist es total egal, in welcher Spielklasse man unterwegs ist. Sicherlich haben wir in der Bundesliga da andere Möglichkeiten der Vorbereitung, allein auf Grund des ganzen Videomaterials. Aber ganz grundsätzlich kann ich mich auch in der Kreisliga in Abläufe und Prozesse hineindenken. Außerdem sollte jeder Schiedsrichter vorbereitet, aber nicht vorbelastet in ein Spiel gehen. Das war beispielsweise der Fall im DFB-Pokal-Spiel zwischen Bayern München und Bayer Leverkusen, als Osmers Bayern Torwart Manuel Neuer nach 16 Minuten mit der Roten Karte vom Platz stellte. „Als ich hinterher in der Kabine auf mein Handy geguckt habe, habe ich erst gesehen, dass das seine erste Rote Karte in mehr als 800 Spielen war. Ich war froh, dass ich es vorher nicht wusste, auch wenn meine Entscheidung dann sicher keine andere gewesen wäre.“ Und die Antizipation ist auch nicht unwichtig. Ich stelle mir immer die Frage: Wo ist mein nächstes Problem im Sinne von raus aus dem Reagieren, rein ins Agieren.“
Für seine Ausführungen bekam Harm Osmers reichlich Applaus. Die Gütersloher Schiedsrichter – und auch die Gastzuhörer aus den Nachbarkreisen Lemgo, Beckum, Paderborn und Münster – werden gewiss mit einigen Anregungen im Hinterkopf in ihre nächsten Spielleitungen gehen und sich möglicherweise in kniffligen Situationen daran erinnern, was der Profi ihnen mit auf den Weg gegeben hat.